Schlurf. Jugendopposition gegen den Gleichschritt

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„Vielleicht kennst du die Schlurfs. Nur weisst du, wieso der Schlurf entstanden ist? Sie waren gegen Zwang. Die wollten sich einfach nicht dirigieren lassen“, so Paul Vodicka, Wiener Widerstandskämpfer und Zeitzeuge, in einem Interview im Juni 2018 (im Song zu hören ab 1:56).

Die Schlurfs waren eine österreichische Jugendsubkultur, die alles ablehnte, was die Nationalsozialisten anzubieten hatten: Konformismus, Rassismus, Militarismus, Arbeitsethos, Autoritarismus und Gleichschaltung. Stattdessen orientierten sie sich an der amerikanischen Populärkultur, vor allem der Swing hatte es ihnen angetan. Im Gegensatz zu den deutschen Swing Kids oder den französischen Zazous waren die Schlurfs eine Bewegung aus der Arbeiter*innenklasse. Öffentlich traten sie erstmals 1939 in Erscheinung.

Für die Optik galt die Maxime Auffallen: übergroße Sakkos, lange, pomadisierte Haare, bunte Hemden oder Pullover, Krawatten oder Halstücher in grellen Farben, Schuhe mit gedoppelten Sohlen und Hüte mit vorne nach unten gebogener Krempe. Die Gürtel wurden stets offen gelassen, sie sollten nach unten hängen. Die weiblichen Schlurfs (‚Schlurfkatzen‘) trugen auffallend bunte Kleidung, knielange Röcke und hochgesteckte Frisuren. Aus materiellem Mangel war diese modische Idealvorstellung jedoch häufig von Kompromissen geprägt.

Der Begriff ‚Schlurf‘ war ein alter österreichischer Begriff für ‚Müßiggänger‘, spätestens ab den 1930er Jahren aber auch für ‚Zuhälter‘. Der Name war eine Zuschreibung von außen, die von den Anhänger*innen der Subkultur teilweise abgelehnt, teilweise aber auch als ironische Selbst-Stigmatisierung übernommen wurde.

Schlurfs in Wien

Schlurfs gab es vor allem in Wien und in Niederösterreich, ein Haupttreffpunkt war der Wiener Prater. Zu Beginn unterschied sich das Verhalten nicht besonders von dem vieler heutiger Jugendlicher: Der Besuch von Tanzveranstaltungen, öffentliches Rauchen, der Besuch von Bars und das Tragen extravaganter Kleidung. Das NS-Regime hatte jedoch eine wesentlich diszipliniertere und parteitreuere Jugend als Ziel. Am 9. März 1940 wurde eine einheitliche Regelung des Verhaltens Jugendlicher in der Öffentlichkeit erlassen: Jugendlichen unter 18 Jahren wurde es verboten, öffentlich zu rauchen und Gaststätten oder Kinoveranstaltungen nach 21 Uhr ‚ohne Begleitung des Erziehungsberechtigten‘ zu besuchen. Die Teilnahme an öffentlichen Tanzveranstaltungen ohne Erziehungsberechtigte war ihnen überhaupt untersagt. Darüber hinaus durften sich Jugendliche unter 18 nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr in der Öffentlichkeit aufhalten (‚herumtreiben‘). Spätestens mit dieser Verordnung wurde ‚Schlurf‘-Sein zum Delikt, schließlich zählten die demonstrativ gerauchte Zigarette oder der Besuch von Tanzveranstaltungen zu wichtigen Bestandteilen des Stils.

Schlurfs gegen Hitlerjugend

Mit ihrem rebellischen, antiautoritären Auftreten waren die Schlurfs das Gegenstück zur Hitlerjugend – und die HJ bald das Hauptfeindbild der Schlurfs. Schlurfs, die nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs waren, wurden häufig vom Streifendienst der HJ aufgegriffen, zur nächsten Polizeistation gebracht und dort
vorgemerkt. Um Übertretungen der Polizeiverordnungen zu ahnden, wurde der „Jugendarrest“ eingeführt, der von einem Wochenende bis zu einem Monat dauern konnte. Zur selben Zeit, als der „Jugendarrest“ beschlossen wurde, berichtete die
Gestapo-Leitstelle Wien zum ersten Mal von Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und Angehörigen der Hitlerjugend: Am 20. September 1940 wurden drei Jugendliche festgenommen,
die zwei Tage zuvor einen HJ-Stammführer ‚überfallen‘ hatten. Im Frühjahr 1941 mehrten sich die Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und HJ. Im März 1941 stellte die Gestapo folgendes fest: „In den letzten Tagen langten verschiedentlich Mitteilungen ein, dass Angehörige der Hitler-Jugend in den Abendstunden auf dem Heimwege von ihren Versammlungslokalen von halbwüchsigen Burschen angestänkert und teilweise auch misshandelt wurden.“ Angesichts solcher ‚Überfälle‘ auf die HJ richtete die Wiener Gestapo eigene Arbeitsgruppen ein. Eine beliebte Maßnahme gegen die Schlurfs wurde das Abschneiden der langen Haartracht. Diese Zerstörung des wichtigen Stilelements wurde von den Schlurfs auf ihre Weise beantwortet: Zöpfe von BDM-Mitgliedern wurden abgeschnitten und HJ-Abzeichen abgerissen. Selten kam es auch zu großen Aktionen: So bildeten sich vorübergehend Großgruppen mit circa 50 und mehr Schlurfs, die nicht nur auf Streifendienste, sondern auch auf HJ-Heime Angriffe unternahmen.

Die HJ machte unterdessen Vorschläge zur Neugestaltung des Tanzlebens – eine gesittete Tanzkultur sollte den Jazz mit seinem „jüdisch-frivolen Rhythmus“ ersetzen. Erfolgreich war man damit nicht: Als bei der Veranstaltung »2 Stunden Frohsinn« in den Sofiensälen Volks- und Jugendlieder gesungen wurden, störten geladene Jugendliche, unter ihnen viele Schlurfs, das vorgesetzte Programm durch Lachen und übertriebenen Applaus.

Das NS-Regime gegen die Schlurfs

Da die Angriffe auf die Hitlerjugend alltäglich blieben, wurde es als notwendig angesehen, den Krieg gegen die Schlurfs mit aller Brutalität zu führen. Am 26. Januar 1942 schrieb Heinrich Himmler an SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich: „Meines Erachtens muss jetzt aber das ganze Übel ausgerottet werden. Ich bin dagegen, dass wir hier nur halbe Maßnahmen treffen. Alle Rädelsführer, und zwar die Rädelsführer männlicher und weiblicher Art, die feindlich eingestellt sind und die ‚Swing-Jugend‘ unterstützen, sind in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dort muss die Jugend zunächst einmal Prügel bekommen und dann in schärfster Form exerziert und zur Arbeit angehalten werden … Der Aufenthalt im Konzentrationslager muss für diese Jugend ein längerer, 2 bis 3 Jahre sein. Es muss klar sein, dass sie nie wieder studieren dürfen. Bei den Eltern ist nachzuforschen, wie weit sie das unterstützt haben. Haben sie es unterstützt, sind sie ebenfalls in ein Kl. zu verbringen und das Vermögen ist einzuziehen. Nur, wenn wir brutal durchgreifen, werden wir ein gefährliches Umsichgreifen dieser anglophylen Tendenz in einer Zeit, in der Deutschland um seine Existenz kämpft, vermeiden können.“

Gegen Ende des Krieges werden die Berichte über die Schlurfs weniger. Manche Schlurfs wurden, als ‚arbeitsscheu‘ oder ‚asozial‘ eingestuft, in das ‚Arbeitserziehungslager Oberlanzendorf‘ oder in die ‚Strafanstalt in Rebdorf‘ eingewiesen, andere wurden, teilweise frühzeitig, zur Wehrmacht eingezogen. Weibliche Schlurfs wurden in das Jugendkonzentrationslager und spätere Vernichtungslager Uckermark nahe dem KZ Ravensbrück eingeliefert.

Nach dem Krieg

Auch nach dem Krieg blieben die Schlurfs ein Feindbild der Obrigkeit. Ihr Hedonismus wurde als mangelnde Bereitschaft, sich am ‚Wiederaufbau‘ zu beteiligen, ausgelegt. 1948 rief der Polizeipräsident Josef Holaubek die Wiener Jugend dazu auf, „das zerrottete Schlurfwesen in jeder Form fanatisch abzulehnen“. Als auf der Wientalpromenade des Stadtparks 1957 Lampen errichtet wurden, bezeichnete man dies als ‚Entschlurfungsaktion‘. Bis ins Jahr 2006 fand sich im österreichischen Wörterbuch die Definition „Schlurf: Ein langhaariger, auffällig modisch gekleideter, arbeitsscheuer Bursche“. Aber auch in der Linken wurden die oppositionellen Tätigkeiten der Schlurfs wegen ihres als mangelhaft empfundenen (partei-)politischen Bewusstseins ignoriert.

Karikatur des „arbeitsfaulen Schlurfs“, Neues Österreich

 

Über den Song

Unser Song »Schlurf« besteht aus zwei Teilen: Der erste Textteil stammt aus einem Brief des Kreisleiters der NSDAP Gau Wien Kreisleitung VII an die Gestapo-Leitstelle Wien. Es gibt verschiedene Versionen des Textes, die Urheber*innen sind unbekannt. Mit der Drohung, Polizei, HJ und BDM mit Messern („langer Mann“) zu attackieren, gehört er zu den radikalsten Widerstandstexten. Es ist nicht klar, zu welcher Melodie dieser Text gesungen wurde, am wahrscheinlichsten aber zu »FD 79« von Ernst Weilandt (1942).
Der zweite Teil des Textes ist ein Auszug aus der sogenannten »Schlurfhymne«, eine Adaption des Lale Andersen-Schlagers »Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei« (1941).