Combat. Die unglaubliche Geschichte des Herbert Traube

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Herbert Traube: „So wie die meisten Überlebenden der Nazi-Zeit habe auch ich Jahrzehnte lang nicht darüber sprechen können, vergeblich versucht zu vergessen. Die damaligen Ereignisse waren tief in meinem Gedächtnis vergraben, bis es mir bewusst wurde, dass es unsere Pflicht ist, durch unser Zeugnis das Andenken an die damaligen Opfer wach zu erhalten und vor allem zu betonen, wie man aus friedlichen Bürgern hassende Bestien machen konnte.“

Herbert Traube wurde am 15. Juli 1924 in Wien in eine jüdische Familie geboren und lebte mit seinen Eltern und seiner Schwester in der Heinestrasse 17 im 2. Wiener Gemeindebezirk ein ruhiges, bürgerliches Leben. Vater Paul eröffnete dort als Dentist eine Zahnpraxis. Die Eltern pflegten ein gesellschaftliches Leben, besuchten Konzerte, Opern, „mein Vater spielte uns Kindern auf der Geige Auszüge aus den am Vortag gehörten Werken vor, meine Mutter sang oft dazu. Das sind einige Erinnerungen an die Kinderjahre, an das Leben bevor“.

Herbert Traube mit 14 Jahren, Reisepassbild

 

Die Machtübernahme der Nazis im März 1938: „Für uns, sowie für viele tausend andere, war es der Anfang vom Ende“. Sofort begannen die ersten Ausschreitungen gegen Juden und Jüdinnen. Bei den sogenannten ‚Reibpartien‘ wurden Jüdinnen und Juden  gezwungen, Wiens Straßen zu ‚reinigen‘.

Herbert Traube: „Ich kniete damals neben meinem Vater, eine Bürste in der Hand, von aufgehetztem Pöbel umgeben, mit einem Gefühl von Unverständnis. Was ist da auf einmal passiert? Wieso behandelt man uns wie Sträflinge, wie Sklaven? WARUM? Warum muss mein Vater buckeln und knien? Den Schrei ‚Saujud‘ hörte ich damals nicht zum ersten Mal, aber da wurde mir erst bewusst, was damit gemeint war. […] Dann kam die ‚Kristallnacht‘. Wir hörten das Geschrei, den Jubel, als der Tempel brannte. Meine Mutter hielt mich umarmt, mein Vater tröstete meine Schwester, von Schlafen war keine Rede.“

Juden müssen die Straßen reinigen (Archiv Martin Pollak)

Wie viele österreichische Jüdinnen und Juden im Zuge dieser gewalttätigen Ausschreitungen von NS-Kommandos ermordet wurden, auf Transporten starben oder sich das Leben nahmen, ist bis heute nicht geklärt. In WIen wurden 6.547 Menschen verhaftet, davon 3.755 nach Dachau deportiert.

Mehr als 4.000 Geschäfte wurden allein in Wien geplündert, zerstört und gesperrt, an die 2.000 Wohnungen ausgeraubt, 42 Synagogen und Bethäuser wurden in dieser Nacht in Brand gesteckt und verwüstet. Der Terror der Pogromnacht sollte das jüdische Kulturleben zerstören und die jüdischen Bürger*innen nachhaltig verängstigen. Die Pogrome, der Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus dem öffentlichen Leben, die vielen ‚Arisierungen‘, Zwangsmaßnahmen und Erlässe gegen die jüdische Bevölkerung nahmen immer mehr zu und wurden vom größten Teil der nichtjüdischen Mitbürger*innen  nicht nur widerspruchslos zur Kenntnis genommen, sondern von vielen sogar aktiv mitgetragen. Viele Juden und Jüdinnen mussten ihren Besitz weit unter Wert an ‚arische‘ Interessent*innen verkaufen oder wurden enteignet und flüchteten – sofern möglich – ins Ausland.

Herbert Traubes Flucht führte ihn über Belgien nach Frankreich: „Nach der ersten Verhaftung meines Vaters in Brüssel waren wir Kinder mit unserer Mutter, wie tausende Belgier, nach Frankreich entkommen, wo wir alle als Flüchtlinge aufgenommen wurden. Aber nach der Machtübernahme von Marschall Pétain wurden wir „unerwünscht“ und kamen in ein bewachtes Sammellager, wo meine arme Mutter an mangelhafter Pflege, Unterernährung und Hoffnungslosigkeit umgekommen ist.“

Herbert Traube entkam dem Lager Rivesaltes und flüchtete als 16-jähriger nach Marseilles zu seinem Vater, von dem er Folgendes erzählt: „Er verschaffte sich einige Instrumente, eine Bohrmaschine mit Fußantrieb und konnte so viele andere Leidensgenossen in seinem winzigen Hotelzimmer behandeln. Ein Zahntechniker erlaubte ihm sogar Prothesen in seiner Werkstatt herzustellen.“

Herbert Traube schloss sich in Marseille einer Widerstandsgruppe an, die vom ‚American Friends Service Committee‘ getarnt wurde. Er war an einigen erfolgreichen Aktionen beteiligt, wie Verteilen von Flugzettel und Parolen an Hauswände schreiben, später wurde die Widerstandszeitschrift ‚Combat‘ herausgegeben.

„Im August 1942 gab es in Südfrankreich eine allgemeine Judenjagd, Deutschland verlangte die Auslieferung von 20.000 Juden aus der damals noch unbesetzten, von der Vichy-Regierung verwalteten, sogenannten Südzone. Mein Vater befand sich unter den Gefangenen, kam mit einem Deportationszug über Drancy nach Auschwitz, wo er wahrscheinlich gleich nach seiner Ankunft ermordet wurde.“

Aus einem Viehwaggon dieser Art konnte Herbert Traube während der Fahrt entkommen.

Auch Herbert Traube wurde verhaftet und in das Lager von Milles gebracht. Von dort sollte er über Rivesaltes – Drancy zur Endstation Auschwitz deportiert werden. Ihm gelang es jedoch, durch die Lüftungsöffnung des Viehwaggons zu klettern und vom fahrenden Zug zu springen. Nach einer abenteuerlichen Odyssee konnte er mit Hilfe der französischen Resistance unter falscher Identität in die Fremdenlegion eintreten – nach eigener Angabe die einzige Chance, der Verfolgung zu entgehen. Als Soldat war er nach Stationen in Nordafrika und Indochina an der Befreiung Stuttgarts und Vorarlbergs von der Naziherrschaft beteiligt. Das Kriegsende erlebte er nach einem Fußmarsch über den Arlberg in Österreich: „Ich konnte den Krieg mit den Alliierten beenden – am 8. Mai 1945 war ich in Vorarlberg, aber diesmal mit einer Waffe in der Hand.

Herbert Traube bei der Siegesfeier am 18. Juni in Paris

Später ließ sich Herbert Traube nach einer Tätigkeit als Ingenieur in Menton im Süden Frankreichs nieder, wo er 19 Jahre als Gemeinderat und Bürgermeisterstellvertreter aktiv war.

Seine Autobiographie »De Vienne à Menton: itinéraire peu commun d’un Juif né autrichien« erschien 2016 und wird im Juni 2020 in deutscher Übersetzung im Verlag der Theodor-Kramer-Gesellschaft veröffentlicht.

Herbert Traube am Ende seiner Ansprache zur Gedenksteinverlegung am 3.6.2018 für seine Eltern Ilka und Paul Traube in der Heinestraße 7 im 2. Wiener Gemeindebezirk: „Was bedeutet dieser Gedenkstein? Er soll vor allem eine Mahnung sein, ein Aufruf an das Gewissen! Niemals darf sich das damals Geschehene wiederholen, es ist unerlässlich beim kleinsten Auftauchen eines Zeichens von Rassenhass zu reagieren. Jeder, jede ist verantwortlich!“

Herbert Traube beim Interview am 7. Juni 2018