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Aus »So starb eine Partei« von Jura Soyfer: „Da waren sie […] in einem kleinen Sekretariat eingenistet. Was außerhalb lag, war Fremde. Der Bezirk, wo sie geboren und aufgewachsen waren, der prächtige, laute, wimmelnde Arbeiterbezirk schwieg erstarrt im Jännerkot, weil Militärautos durch die Straßen rumpelten. Die Stadt, die das ‚Rote Wien‘ hieß, war eine scheue, fast feindselige, eine fremde Stadt. Sie fühlten sich vergessen, verlassen und sehr einsam…“
Die Vorgänge im Februar 1934 in Österreich sind von welthistorischer Bedeutung: Zum ersten Mal setzen sich Arbeiter*innen bewaffnet gegen eine faschistische Machtergreifung und die Vernichtung der Demokratie zur Wehr.
Anfang der 1930er Jahre steigt die Arbeitslosigkeit in Österreich in den Wintermonaten auf 30%. Eine massive Kürzungspolitik beginnt, die sich gegen die Errungenschaften der Frauen-, Räte- und Arbeiter*innenbewegung wandte. Gleichzeitig werden Polizei und Bundesheer von der Regierung komplett ‚umgefärbt‘, unterstützt von Mussolini, der auf die Ausschaltung der Demokratie und ein Verbot der sozialdemokratischen Arbeiter*innenbewegung drängt.
Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen politischen Gegnern gehören seit 1929 zum Alltag. Am 18. Mai 1930 bekennen sich die Heimwehren (paramilitärische Einheiten, die dem ‚christlichsozialen‘ Lager nahestanden) im ‚Korneuburger Eid‘ eindeutig zum ständestaatlichen Faschismus. U.a. heißt es da: „Wir verwerfen den westlich-demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat.“
Am 4.März 1933 schaltet Bundeskanzler Engelbert Dollfuß das Parlament aus und regiert von nun an mit dem ‚Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz‘ aus dem Jahr 1917 ohne Volksvertretung. Der Republikanische Schutzbund (die paramilitärische Organisation der Sozialdemokrat*innen) und die Kommunistische Partei Österreichs werden verboten.
Unter dem Vorwand, Waffen zu suchen, werden schikanös immer wieder Arbeiter*innenheime und Wohnungen durchsucht, Papiere beschlagnahmt und Funktionär*innen in Haft genommen. Der Republikanische Schutzbund wird dadurch demoralisiert, dass er vom sozialdemokratischen Parteivorstand immer wieder den Befehl bekommt, sich still zu verhalten. Am 11.2.1934 spricht Wiener Heimwehrführer und Innenminister Emil Fey zu kampfbereiten Heimwehrverbänden: „Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten für unser Vaterland, das nur uns Österreichern alleine gehört und das wir uns von niemand nehmen lassen.“
In den Morgenstunden des 12. Februars 1934 beginnt die Waffensuche der Heimwehr im Linzer Parteiheim. Die sozialdemokratischen Schutzbündler leisten Widerstand. Dem Kampf in Linz folgen Aufstände in Wien und anderen Industrieorten (Steyr, St. Pölten, Weiz, Eggenberg bei Graz, Kapfenberg, Bruck an der Mur, Wörgl usw.). Zentren des Widerstands in Wien sind u.a. die Arbeiter*innenheime und Gemeindebauten (Karl-Marx-Hof, Goethe-, Sandleiten-, Reumann- und Schlingerhof). Es folgt ein viertägiger Bürger*innenkrieg mit hunderten Toten.
Polizei, Bundesheer und Heimwehren gehen mit brutaler Waffengewalt und Artillerieeinsatz gegen die schlecht ausgerüsteten Arbeiter*innen vor. Der ausgerufene Generalstreik wird nicht umgesetzt, der Schutzbund ist führungslos und die kämpfenden Gruppen können nicht miteinander kommunizieren. Auch die Hoffnung, dass Soldaten des Bundesheeres sich weigern würden, auf die eigene Bevölkerung zu schießen, wird enttäuscht. Die politische Umfärbung der Armee zeigt Wirkung, das Bundesheer ist ein verlässliches Instrument der Diktatur.
Das rücksichtslose Vorgehen der Truppen, der Einsatz von schweren Geschützen in Wohnvierteln, die Tötung von Gefangenen und die standrechtlichen Hinrichtungen rufen international Entsetzen hervor.
Das Standrecht wird im November 1933 eingeführt und im Februar um den Aspekt ‚Aufruhr‘ erweitert, um abschreckende Exempel zu statuieren. Insgesamt werden neun Schutzbündler (Josef Ahrer, Anton Bulgari, Johann Hois, Karl Münichreiter, Viktor Rauchenberger, Josef Stanek, Emil Svoboda, Koloman Wallisch, Georg Weissel) standrechtlich hingerichtet. Karl Münichreiter wird sogar trotz seiner schweren Kampfverletzungen, was selbst nach dem damaligen Standrecht rechtswidrig war, am Galgen hingerichtet.
Koloman Wallisch wird auf der Flucht verraten, verhaftet und am 19. Februar, als die Kämpfe längst beendet waren, gehenkt. Justizminister Kurt Schuschnigg plädiert im Ministerrat für die Aufrechterhaltung des Standrechts in der Steiermark. Es handlelt sich hiermit um einen glatten Justizmord.
Nach fünftägigen Kämpfen wird auch der letzte Widerstand gebrochen. Die sozialdemokratische Partei war bereits unmittelbar nach Beginn der Kämpfe verboten worden.
Am 1.Mai 1934 beschließt das Regime Dollfuß eine neue Verfassung – auch auf dem Papier ist Österreich nun keine demokratische Republik mehr, sondern ein autoritär geführter „Ständestaat“, der sich an faschistischen Ideen orientiert.
Gernot Trausmuth: “Die Art, wie im Februar Widerstand geleistet wurde, war in den Monaten zuvor vorbereitet worden. Wo es der Linksopposition im Zuge des Parteitags vom Oktober 1933 gelungen war, sich zu verankern, dort gab es auch einen nennenswerten Widerstand der Arbeiter*innen. Die unterschiedlichen Traditionen der einzelnen regionalen sozialdemokratischen Organisationen sollten daher dafür bestimmend werden, welche Formen der Widerstand konkret annahm. Das zeigt sich am Beispiel des populären Führers des Schutzbunds in Wr.Neustadt, der sich gegen den bewaffneten Kampf entschieden hatte und sich schon Tage vor dem Ausbrechen der Kampfhandlungen verhaften ließ. Führerlos war die lokale Organisation in dieser roten Hochburg völlig handlungsunfähig. Weniger hierarchische innerorganisatorische Strukturen und eine ungebrochene kämpferische, aktionistische Tradition aus der Frühphase der ArbeiterInnenbewegung, der Rätebewegung, waren wichtige Faktoren, welche den bewaffneten Kampf trotz des ungünstigen Kräfteverhältnisses als Option erschienen ließen.“
Mit den Februarkämpfen und den folgenden Ereignissen stand Österreich nun endgültig in einer Reihe mit den diktatorischen Staaten Mitteleuropas. Die Widerstandskraft Österreichs gegen den Nationalsozialismus wurde durch diese Ereignisse entscheidend geschwächt. Der austrofaschistische Staat konnte sich, späteren Schätzungen zufolge, nur mehr auf etwa ein Drittel aller Bürger*innen stützen und fand 1938 sein Ende (und gewissermaßen seine Fortführung) mit dem Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland.
Auch zahlreiche Frauen waren in die Februarkämpfe involviert. Eine kleine Auswahl:
Anni Haider war eine junge Textilarbeiterin und politische Aktivistin. Zu ihren Aufgaben gehörte es, über die von den Heimwehren und dem Militär abgeriegelte Reichsbrücke hinweg Kampfdirektiven zu übermitteln. Im Wiener Goethehof deckt sie allein mit dem Maschinengewehr den Rückzug der fliehenden Schutzbündler. Verletzt und von der Polizei gesucht, verbirgt sie sich im damaligen Überschwemmungsgebiet der Donau, bis ihr ein Ziegenstall in der Armensiedlung „Brettldorf“ als Versteck angeboten wird. Aus Enttäuschung über den Verrat der Sozialdemokratie an den kämpfenden ArbeiterInnen tritt sie in die KP ein. Sie blieb auch nach 1938 im Widerstand, wurde 1941 von der Gestapo verhaftet, überlebte den Nationalsozialismus und war nach 1945 in der KP aktiv. Sie erzählt im Film »Tränen statt Gewehre«: “Im Goethehof hat es dann geheißen: Ein jeder hat seine Waffen! Jetzt haben sie das Bad aufgehaut, die Mauer vom Bad, eine bestimmte Stelle. Da waren drinnen vier Revolver und zehn Gewehre! Und 170 Mann sind dagestanden zum Kampf bereit. Kannst du dir das vorstellen! Das war so deprimierend, dort bin ich so fertig gewesen. Jetzt hab ich gesagt, na das war alles umsonst! Die haben alle nicht kämpfen können. Es hat nicht Stadlau kämpfen können, es hat nicht Kagran kämpfen können. Weil wenn das gemeinsam losgegangen wär, Ottakring und mit allem, das wäre ja etwas Anderes gewesen.”
Maria Emhart war Textilarbeiterin, Betriebsrätin und Gemeinderätin für die Sozialdemokratie in Niederösterreich. Sie brachte im Februar 1934 das Parteiarchiv in Sicherheit, organisierte Krankenversorgung und Logistik für die Kämpfe in St. Pölten. Ohne ihr Drängen hätte es vielleicht keine Kämpfe in St. Pölten gegeben, denn erst sie trommelte Schutzbündler, Genossinnen und organisierte Jugendliche zusammen und übernahm somit eine koordinierende Funktion im militärischen Einsatz. Sie wurde mehrmals verhaftet und wieder freigelassen. Nach 1945 war sie für die Sozialdemokratie aktiv, u.a. von 1953 bis 1965 Abgeordnete im Nationalrat.
Über Ida Sever ist wenig bekannt. Wir wissen aber, dass sie trotz der Kämpfe den ganzen Februar 1934 im Arbeiterheim im Ottakring verbringt. Am 13. Februar 1934 gegen zehn Uhr vormittags wird dieses von Heimwehr und Militär zerstört. Ida Sever stirbt wenige Stunden später an ihren Verletzungen.
Käthe Odwody war Arbeiterin und Betriebsrätin in der Ankerbrotfabrik und ab 1934 Mitglied der Kommunistischen Partei. Sie wurde am 17. Februar „wegen Aufstand und Hochverrat” verhaftet. Sie soll laut Anklage in der Kutscherkantine der Ankerbrotfabrik Maschinengewehre mit Patronen geladen haben. Die Arbeiter*innen der Ankerbrot-Fabrik waren von jeher gewerkschaftlich gut organisiert und es kam oft zu Arbeitskämpfen. 1918 bildete sich eine der stärksten Arbeiterwehren in Wien (ca 1.000 Personen). Während der Februaraufstände 1934 befand sich hier ein Stützpunkt des Schutzbundes und der Sozialdemokratie. Die Ankerbrot-Arbeiter*innen folgten dem Streikaufruf der Gewerkschaften, es kam zur bewaffneten Auseinandersetzung mit dem Dollfuß-Regime. Im Widerstand gegen die Nazis wurde Odwody von der Gestapo verhaftet, zum Tode verurteilt und am 23. September 1943 im Wiener Landesgericht mit dem Fallbeil hingerichtet.
Über den Autoren
Fritz Brügel, *13. Februar 1897 in Wien, ✝4. Juli 1955 in London, war Leiter der Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek der Wiener Arbeiterkammer. Er war Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs und nahm am Februaraufstand 1934 teil. Wegen des Faschismus emigrierte er nach England, schrieb Gedichte und Essays. Er ist bekannt für die Verfassung des Textes »Die Arbeiter von Wien«. Laut Fragen hat mit »Das Netz der stummen Zellen« (bzw. dem »Flüsterlied«) einen weiteren Text Fritz Brügels vertont.